Vor einer Stunde stand Jörg Roßkopf noch an der Tischtennisplatte und trainierte mit seinem Schützling Timo Boll. Jetzt setzt er einen Golfball aufs Tee, um ihn die Apfelroute hinunter zu jagen. So heißt die erste Bahn im Golfclub Odenwald, dem Heimatclub des Tischtennis-Bundestrainers. „Wenn ich fünf oder sechs Stunden in der Turnhalle war, dann genieße ich es, hier raus an die frische Luft zu kommen und mit schönen Ausblicken Golf zu spielen“, sagt der gebürtige Dieburger und zeigt auf die blühenden Obstbäume und runter ins Brombachtal. Zur Entspannung spielt Jörg Roßkopf Golf.
Im Doppel war Roßkopf gemeinsam mit Steffen Fetzner 1989 Weltmeister und 1992 Olympia-Zweiter sowie mit Wladimir Samsonow Europameister 1998. Im Einzel gewann er 1992 ebenfalls den Europameistertitel, holte bei Olympia 1996 in Atlanta Bronze und achtmal den Deutschen Meistertitel. Die große Stärke des Linkshänders war stets sein Vorhandtopspin. „Wie das mit dem Spin beim Golf geht, das weiß ich bis heute nicht“, sagt er und lacht. Golf spielt Roßkopf bereits seit mehr als zehn Jahren – und überraschenderweise rechtsherum. „Ich mache alles mit Links, außer Golfspielen“, erklärt der 51-Jährige.
"Lasse den Driver meist ganz stecken"
Roßkopfs erster Drive und sein Schlag mit dem Pitching-Wedge zum Grün fliegen so kerzengerade und sicher, dass man meinen könnte, er erhole sich regelmäßig vom Tischtennis auf dem Golfplatz. Aber das sei für ihn in der Rolle des Bundestrainers nicht drin, erst recht nicht in einem voraussichtlichen Olympia-Jahr wie diesem, versichert er: „Nur drei bis viermal pro Jahr schaffe ich es auf den Platz.“ Mit der Umstellung auf das World-Handicap-System hat Roßkopf sich von 22,5 auf 17,5 verbessert. Etwas übertrieben, wie ihm erscheint. Seine Stärke beim Golf sei das kurze Spiel rund ums Grün. „Ich bilde mir ein, dass ich dabei mein Ballgefühl vom Tischtennis am besten ausspielen kann.“
Das Gegenteil erlebe er mit seinem Driver, der ihn allzu oft im Stich lasse. Wie auf Bahn 2 namens Seegrün. Nach einem getoppten Abschlag landet der Ball noch vor dem Fairway frontal in einem kleinen Wassergraben. „Darum lasse ich den Driver meist ganz stecken“, hadert Roßkopf. Trainerstunden habe er in all den Jahren nur zwei oder drei genommen. Woran solle er schon arbeiten, wenn er so selten spiele, ist seine Haltung dazu.
Zum Golf gebracht habe ihn kein golfender Bekannter, sondern eigene Neugier. „Ich habe schon früher mit Begeisterung viel Golf im Fernsehen geschaut und war daher schon im Thema drin.“ Eine seiner ersten Golfrunden habe er gemeinsam mit Timo Boll gespielt, der wie Roßkopf seit Jahren Mitglied im Golfclub Odenwald ist. Der Bundestrainer und Deutschlands aktuell bester Tischtennisspieler sind die prominentesten Mitglieder des 1986 gegründeten Clubs.
Während Boll mit seinen unzähligen Titeln und als ehemaliger Weltranglistenerster die Nase beim Tischtennis vorn hat, ist Roßkopf der bessere Golfer der beiden. „Als aktiver Spieler findet Timo noch seltener als ich die Zeit zum Golfspielen, aber wenn wir zusammenspielen, dann ist Timos Trash-Talk nicht zu unterschätzen“, berichtet Roßkopf und lacht. Er selbst liebe Eins-gegen-eins-Duelle, egal ob an der Platte oder auf dem Golfplatz. Das motiviere ihn deutlich mehr als das reine Spiel gegen den Platz.
Einmal hat Jörg Roßkopf Golf mit Martin Kaymer gespielt
Dank seiner Prominenz ist Roßkopf seit zwei Jahren auch Mitglied im Eagles Charity Golf Club, in dem viele Stars aus Sport und Unterhaltung im Rahmen von Golfturnieren Spenden für einen guten Zweck sammeln. Fünf Jahre sei es her, da habe er bei einem Wohltätigkeitsturnier an der Seite von Martin Kaymer spielen dürfen. „Martin meinte zu mir, spiel' den Ball nach rechts, damit du einen guten Winkel zur Fahne hast“, erinnert sich Roßkopf. „Ich habe ihm für seinen Tipp gedankt und gesagt, dass ich das leider nicht steuern kann.“
Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio habe er Martin Kaymer auf einer der Turnierrunden begleitet. Etwas, das er auch in diesem Jahr nur zu gerne wieder tun würde. „Wenn Olympia in Tokio stattfindet, dann vermutlich nicht nur ohne Zuschauer, sondern auch ohne die Möglichkeit, als Trainer oder Athlet bei anderen Sportarten zuzuschauen“, schätzt Roßkopf, der mit dem Deutschen Tischtennis-Team mindestens eine Medaille gewinnen will. Dass Golf wieder olympische Sportart sei, finde er angesichts der enormen Tradition richtig.
Ob er seine Tischtennis-Karriere im Nachhinein gegen eine Golfkarriere eintauschen würde? Ryder-Cup-Sieg statt Doppel-Weltmeister? Roßkopf überlegt. „Mit Golf hätte ich sicher mehr Geld verdient als mit Tischtennis, aber ich habe mir meinen Sport nicht danach ausgesucht“, ist seine Antwort. Immerhin ist der fünffache Olympia-Teilnehmer überzeugt davon, dass er seinen Ehrgeiz und seinen Trainingseifer auch in anderen Sportarten hätte entwickeln können: „Das ist eher eine Frage des Charakters.“
Auf der Golfrunde schaltet Roßkopf neben seinem Handy auch diesen für seine Tischtennis-Karriere so wichtigen Perfektionsdrang aus. Spaß bereite Jörg Roßkopf Golf, auch wenn er schlecht spiele, beteuert er. Und das komme auf seinem Heimatplatz im Odenwald mit den allgegenwärtigen Schräglagen nicht selten vor. „Wer hier spielen kann, der kann überall spielen“, ruft Heinrich Brosche, Sportvorstand des Clubs, Roßkopf nach der Runde über den Parkplatz zu. Gut zu wissen. Spätestens nach Olympia kommt der Bundestrainer wieder.