Vor dem ersten Schlag in den schwarzen Himmel steht die Verlorenheit. Die Nacht raubt alle Fixpunkte. Zugegeben, der Ball leuchtet. Aber es ist doch mehr ein Glimmen, zu schwach, um auch nur den Rasen oder den Schlägerkopf in erkennbares Licht zu rücken. Es ist ein Moment des Zögerns. Wenn die Orientierung fehlt, muss die Erinnerung übernehmen: Wie war das nochmal mit 100 Metern? Wie hart schwinge ich da? Es ist erstaunlich, wie sehr die Haltlosigkeit im Raum auch das Gefühl für die richtige Bewegung auslöscht. Aus dem Glaube, das Richtige zu tun, wird beim Nachtgolf zwangsläufig ein Hoffen: Pitching Wedge, gib ihm!
Der ideale Ort für unser Nachtgolf-Experiment ist der Kurzplatz des Golf-Club Neuhof. Denn der Hersteller der Leuchtbälle garantiert die Sichtbarkeit nur bis auf eine Distanz von 150 Metern. Nicht übertreiben. Um das Optimum zu definieren, haben wir uns mit Silvia Schulz verabredet, Kapitänin des Neuhöfer Damen-Teams. Die Zweitliga-Spielerin ist nicht nur eine hervorragende Golferin, sie denkt auch sportlich genug, um eine Tee-Time zur Mitternacht ernst zu nehmen – obendrein ist sie eine sympathische Begleiterin. „Ich habe tatsächlich schon mal Nachtgolf gespielt, aber das ist Jahre her“, erzählt sie.
Die erste beeindruckende Erkenntnis: Gelernt ist gelernt, bei Tag wie bei Nacht. Auf den ersten vier Bahnen spielt Silvia Schulz jeweils Par. Dabei dient als Orientierung einzig eine Taschenlampe, die oben am Fahnenstock klebt und nach unten auf das Loch zeigt. Der matte, rote Schein der Fahne ist zwar gut in der Dunkelheit zu erkennen, die Distanz aber unmöglich einzuschätzen. „Ich habe vorhin in der Dämmerung noch eine Proberunde hier gespielt“, erklärt Schulz ihren Erfolg. Sie ist vorbereitet, wie es sich für eine Kapitänin gehört.
Beim Nachtgolf sind Bälle leichter zu finden
Für die zweite Erkenntnis sorgt das MAINgolf-Team entsprechend allein: Verlorengeglaubte Bälle sind nachts leichter zu finden. Ist der Schlag auch noch so misslungen, sticht selbst im dichtesten Gebüsch das Gelbgrün des Leuchtballs aus dem Dunkeln heraus. Tagsüber wäre man vielleicht nicht einmal suchen gegangen. In dieser Nacht halten wir unsere kostbaren Bälle (10 Stück für 19.95 Euro) hartnäckig zusammen. Der sogenannte Lumiball, den wir verwenden, muss vor dem Schlag mit einer starken Lampe aufgeladen werden. Anschließend leuchtet er rund fünf Minuten. Andere gebräuchliche Modelle, in die ein Knicklicht gesteckt wird, haben den Nachtteil, dass die Aussparung für den Leuchtstab die Aerodynamik beeinflusst. Die Bälle fliegen dadurch kürzer oder eiern.
Der ultimative Test ist der nächtliche Schlag aus dem Bunker. Kurz vor dem Ball in den Sand einzutauchen, wie es sich gehört, ist fast unmöglich. Welcher Sand? Nichts zu sehen. Probeschläge zum Justieren wie auf dem Rasen sind im Bunker natürlich verboten, da erlauben wir uns keine Ausnahme. Die Nachtigall vom Neuhof bekommt entsprechend kein „Sandy Par“ zu sehen. Ein Begriff, den im Übrigen wir Deutschen erfunden haben – nur eben nicht nachts.
Erst einmal auf dem Grün angekommen, wartet eine kaum geringere Herausforderung. Das Break lässt sich gerade bei längerer Entfernung zum Loch nur erahnen. Einziges probates Mittel ist daher, neben der mutmaßlichen Puttlinie vom Ball bis zum Loch zu gehen. Eine Technik, die auch bei Tageslicht Sinn ergibt, weil sie einem ein zusätzliches Gefühl für Neigung, Anstieg oder Gefälle liefert. Einige schlechte Versuche muss die Nacht schlucken, bevor auf dem Grün der fünften Bahn ein erster langer Putt aus gut und gerne zehn Metern ins Loch fällt. Unser gemeinschaftlicher Jubel findet noch bis weit ins Unterholz Gehör. Ein heller Moment in der Nacht. Und so gilt für alle guten Schläge zur unchristlichen Zeit, dass sie einem mehr Freude bereiten, dass sie erhebender wirken, als sie das tagsüber könnten.
Nach unserer jeweiligen Spielvorgabe haben wir uns vorab nicht informiert. Was sollte das auch? Wenn schon wir nicht ruhen, dann zumindest das Handicap. Keiner von uns erreicht unter den erschwerten Bedingungen seine „Tagesform“. Auch wenn Silvia Schulz der Nacht beeindruckend viele Pars abtrotzt, muss der Score der Unberechenbarkeit mancher Aufgabe Tribut zollen. Immerhin wächst mit jeder weiteren Bahn das Feingefühl, das Händchen, das zumindest die Nicht-Zweitligaspieler anfänglich vermisst haben. Trotzdem geraten die meisten Schläge auch gegen Ende der Runde noch tendenziell zu lang, weil das kleine Licht an der Fahne stets trügerisch weit weg erscheint.
Auf dem Weg zum Parkplatz bleibt eine letzte offene Frage
„Das Tolle beim Nachtgolf ist, dass man nur das Ziel vor Augen hat und die Hindernisse im Dunkeln liegen“, ist Silvia Schulz’ Fazit. Der Fokus sei genau richtig. Denn wie oft sage man sich beim Golf „Bloß nicht ins Wasser oder ins Aus schlagen!“ und lasse sich mehr von der Angst treiben als vom Gedanken an einen guten Schlag. Nachts ist das schlicht nicht möglich. Die Probleme sind unsichtbar. Das Ziel leuchtet. Auf 18 Löchern verlieren wir gerade einmal drei Bälle. Das muss als Bilanz genügen. Über alles Weitere legt sich die Nacht.
Als wir in der Finsternis des sehr, sehr frühen Morgens zurück Richtung Parkplatz gehen, bleibt eine letzte Frage: Wie wäre es gewesen, wenn wir auf einem richtigen Platz und keinem Kurzplatz gespielt hätten? Zwei Minuten später steckt im ersten Abschlag des Neuhöfer Skyline Course ein Tee, darauf ein glimmender Ball, dem Verlust geweiht. Ein letzter Schwung. Der Driver trifft perfekt. Eine Sternschnuppe, selbstgemacht. Als sie nach über 200 Metern sichtbar mittig im Fairway landet, könnte das Spiel erneut beginnen. Aber wir wünschen uns eine gute Nacht.