Es ist nicht die Stimmung, die eisig ist, als SPD und FDP aufeinandertreffen. Es ist der Wind. Wolfgang Kubicki stöhnt, als er das Clubhaus des Berliner Golf & Country Clubs Motzener See verlässt. Bis hoch unters Kinn hat er den Reißverschluss seiner schwarzen Fleecejacke gezogen. Abgekühlt ist die Begeisterung des stellvertretenden Parteichefs der Liberalen für ein politisches Golfduell mit Klaus Wowereit, dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin. Aber Aufwärmen – beliebt gegen Kälte und für eine erfolgreiche Golfrunde – ist Kubickis Sache nicht. Stattdessen fährt er am Abschlag von Bahn eins im Golfcart vor. Klaus Wowereit, der seine Golftasche trägt, quittiert den Anblick mit einem Stirnrunzeln: „Ist das dein Ernst?“ Wohlmeinend könnte man sagen, die FDP setze ein Zeichen für Elektromobilität.
„Du hast dich ja richtig schick gemacht“, frotzelt Kubicki und deutet auf Wowereits blauen Hermès-Schal. „Ich habe mich nicht schick gemacht, sondern warm angezogen“, kriegt er zurück. Für Wowereit ist es ein Heimspiel. Der Sozialdemokrat ist Mitglied im Berliner Golf & Country Clubs Motzener See und spielte schon Golf, da war er noch gar nicht Regierender. Bekannt ist davon wenig. Einmal gab es ein Foto in der Bildzeitung, dazu die spöttische Bemerkung, Wowereit schiebe eine ruhige Kugel. „Ich hatte immer das Gefühl, damit nicht punkten zu können, weil Golf fälschlicherweise als Altherrensport und als teuer gilt“, erklärt der 65-Jährige. Dabei sei das weniger verschriene Segeln viel teurer. Kubicki muss trotz Kälte grinsen: „Darum mache ich beides.“
Kubicki redet Wowereit die Vorgabe von sieben Schlägen einfach aus
Es entspricht dem Klischee, dass Kubicki schon von Partei wegen der bessere Golfer ist. -20,8 ist sein Handicap, Wowereit hat -29,0. Nach den Regeln des Lochspiels, also aufgerundeten drei Viertel der Vorgabedifferenz, müsste die FDP der SPD an den sieben schwierigsten Löchern des Platzes einen Schlag mehr gestatten. Erst dann wäre es ein faires Kräftemessen. Doch Kubicki, der als Bundestags-Vizepräsident eigentlich ein Regelhüter sein sollte, gelingt es mit Verhandlungsgeschick und einigen Kälteseufzern, Wowereit zum Verzicht zu drängen.
Auf der ersten Bahn, einem Par 4, notieren beide eine Sieben. Für die FDP ein gutes Ergebnis, ginge es nicht um Golf. Gleiches an Loch zwei, einem Par 5. Doch abgesehen vom golferischen Gleichschritt, in dem Cartfahrer Kubicki und Wanderer Wowereit unterwegs sind, können sich beide nicht an ihrem Spiel erwärmen. Es ist keine Mitte-links-Koalition, die hier kontrolliert am Werke ist – die Bälle fliegen in alle Richtungen. „Kubicki!“, flucht sich der FDP-Mann immer wieder selbst an, wenn er die Randbereiche der Golfbahnen ausreizt und zum nächsten Schlag aus seinem Wagen hinab ins hohe, feuchte Gras steigen muss. Wowereit dagegen liebt den Ausruf „Tamara Press“, wenn er seinen Ball mittig auf dem Schlägerblatt spürt. „Das war mal eine sowjetische Kugelstoßerin, eine wahre Naturgewalt“, erklärt er.
Ein typischer Wowereit: links antäuschen und dann flach rechts weg
Was Kubicki Wowereit voraushat, ist sein kurzes Spiel, seine gefühlvollen Chips und Putts, die etwas präziser sind. Solche Qualitäten erwirbt man eigentlich durch regelmäßiges Spielen, aber davon könne bei ihm keine Rede sein, beteuert der Schleswig-Holsteiner. Auf viel mehr als die vier jährlichen Turniere des Eagles Charity Golf Clubs, in den er berufen worden sei, bringe er es nicht. Rentner Wowereit hätte mehr Zeit für Golf.
Als Kubickis Ball an der kurzen Bahn sieben, einem Par 3, mit dem vierten Schlag zum Bogey ins Loch fällt, geht er mit zwei Löchern in Führung. Der Liberale ballt seine Faust. Wowereit beschwört sogleich die Wende: „Die FDP hat doch zwischendrin immer mal eine Krise.“ Trotzdem lässt er Kubicki am nächsten Abschlag gönnerhaft an seinen Platzkenntnissen teilhaben. „Du solltest dich hier eher links halten, um rechts nicht im Teich zu landen“, so der Tipp. Als der Sozi seinen Ball dann aber selbst nach rechts verzieht, platzt es aus Kubicki heraus: „Deine Parteifreunde würden sagen: ein typischer Wowereit, links angetäuscht und dann flach nach rechts weg.“
Konstanz beweisen Wowereit und Kubicki in ihrer Schadenfreude
Am konstantesten sind die beiden Politiker in ihrer Schadenfreude über die Fehlschläge des anderen. Der sogenannte Trash-Talk gilt auch unter Tourspielern im Lochspiel als probates Mittel. „Pass auf, sonst sage ich Jörn, dass du gemein zu mir bist“, droht Kubicki mehr als ein Mal. Gemeint ist Wowereits Lebenspartner Jörn Kubicki, der zwar kein Golf spielt, aber der Großcousin von Wolfgang Kubicki ist. Ein Grund dafür, dass die beiden Politiker sich entgegen aller Meinungsverschiedenheiten milde gegenüberstehen. Hier spielt eine Familie. Kubicki sagt Wowi.
Und Wowereit erzählt, dass er nur zu gerne den Ryder Cup 2022 in Bad Saarow gesehen hätte statt in Rom. Er habe mit am Tisch gesessen, als European-Tour-Boss Keith Pelley zur Visite an den Scharmützelsee kam. Englands Golflegende Sir Nick Faldo, Architekt des angedachten Ryder-Cup-Platzes und Unterstützer der deutschen Bewerbungen, habe Pelley damals gefragt, ob dieser schon einmal beim Ryder Cup gewesen sein. Der Entscheider über Wohl und Wehe musste passen. Bezeichnend. „Er hätte damals offen sagen sollen, dass nicht eine stimmige Bewerbung, sondern allein das Geld gewinnt“, ärgert sich Wowereit noch heute.
Ist Golf so? Oder ist es an diesem kühlen Maitag am Motzener See nur Zufall, dass der ehemalige Regierende den läppischen Ballmarker seines Golfhandschuhs verwendet, während Kubicki auf den Grüns immer die größtmögliche Münze, ein Zwei-Euro-Stück, hinter seinen Ball legt – und am Ende gewinnt? Vielleicht wird man damit eines Tages Bundesfinanzminister. In jedem Fall entscheidet Kubicki das Politduell mit fünf Löchern Vorsprung bei nur noch vier zu spielenden Bahnen für sich. Im Golf eine kleine Demontage. Doch Wowereit gratuliert mit einem Schmunzeln. Er weiß: Im Rückspiel, auswärts und mit sieben Schlägen vor, da kann sich die FDP warm anziehen.