Wie oft er Golf spielt? „Viel zu selten“, sagt Stefan Wiedergrün. „Einmal am Wochenende und ein- bis zweimal unter der Woche nach Feierabend.“ Er, einer der erfolgreichsten Golfamateure Deutschlands, findet das wenig. Denn Wiedergrün war mehrere Jahre sogar Berufsgolfer und hat sein Geld in den USA auf der Tour verdient. Inzwischen arbeitet der 37-Jährige allerdings Vollzeit als Marketing-Manager für die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft RSM und pflegt sein Golfspiel nur noch in der Freizeit. Dieser Spagat gelingt dem gebürtigen Stuttgarter so gut, dass er seit 2018 zu den verlässlichen Leistungsträgern im Bundesliga-Team des Frankfurter Golf Clubs zählt.
„Stefan ist ein sensationeller Typ“, schwärmt sein Trainer Jan Förster über ihn. „Wir haben mit Ben Bradley, Malte von Blankenfeld und Lukas Buller Spieler im Team, die ihn auch mal besiegen können, aber Stefan ist der Konstanteste und daher auch oft der Beste.“ Das gilt nicht nur in seinem Heimatclub: Gleich in seiner ersten Saison in Frankfurt erreichte Wiedergrün mit dem Team das Bundesliga-Finale und wurde Deutscher Vizemeister. 2020 und 2021 war er Hessenmeister, 2020 (mit Moritz Muhl) und 2022 (mit Christopher Sacher) hessischer Vierermeister. 2018, 2019 und 2021 hat er mit dem AK-30-Team des FGC die Deutsche Mannschaftsmeisterschaft gewonnen und 2020 sogar den Einzeltitel in der Altersklasse ab 30 Jahren geholt. 2021 wurde er obendrein Vize-Europameister.
Bis 2014 war Stefan Wiedergrün Tourspieler
„Als ich 2014 meine Profikarriere beendet habe, hätte ich nicht für möglich gehalten, dass ich als Amateur noch so viele Titel feiern würde“, erinnert sich Wiedergrün. Dabei ist es gerade seine Erfahrung als Pro, die ihn seither so erfolgreich macht. Den Druck, um Geld zu spielen und damit um die wirtschaftliche Existenz, den hat er jahrelang gespürt: „Das ist eine Extremsituation, in der dein Leben von guten und schlechten Schlägen beeinflusst wird und du am Anfang des Monats nicht weißt, wie viel Geld du am Ende des Monats noch auf dem Konto hast.“ Im Amateurbereich könne ihn kaum noch etwas erschüttern, ist Wiedergrün überzeugt. Er genieße die Unbeschwertheit und Sorglosigkeit des Amateurdaseins – auch wenn er jetzt nicht mehr ganz so oft auf den Golfplatz steht.
Ein Zufall war es, der Wiedergrün überhaupt zum Golfer gemacht hat, mit damals elf Jahren. Im Sommerurlaub in Schweden hatten seine Eltern eine Golftrainerstunde gebucht, die der Vater wegen Rückenschmerzen kurzfristig nicht antreten konnte. Der sportliche Sohn Stefan – bereits zeitgleich Fußballer, Handballer und Tennisspieler im Verein – sprang ein und entdeckte an sich ein weiteres Talent. „Mir hat Golf unheimlich viel Spaß gemacht und ich habe dafür nach und nach erst Fußball, dann Tennis und letztlich auch Handball aufgegeben“, berichtet Wiedergrün. Seine Mutter, einst Handball-Nationalspielerin, habe ihm die Wahl nicht übel genommen, sondern ihn im Gegenteil unterstützt und zu diversen Trainings und Turnieren kutschiert. Bis heute verdanke er seine Erfolge dem Rückhalt in der Familie und seit ein paar Jahren auch Freundin Diana.
Studium am US-College
Als Spieler des Stuttgarter Golf-Club Solitude schaffte es Wiedergrün erst in den baden-württembergischen Landeskader, mit 15 Jahren dann in den Nationalkader der Jungen und anschließend ins Nationalteam der Herren. 2002 gewann er mit den Stuttgarter Herren die Deutsche Meisterschaft und wurde bei der Einzel-DM Dritter. Nach dem erfüllte er sich seinen Traum und ging nach Charlotte ans College, um dort Business-Management zu studieren und College-Golf zu spielen. „Das war für mich rückblickend die beste Entscheidung in Sachen Selbstständigkeit, Organisation und Persönlichkeitsentwicklung“, erzählt er.
Auch in North Carolina setzte Wiedergrün seine Erfolge fort, gewann mehrere Turniere und wurde im Herbst 2007 zum besten College-Golfer in den USA gewählt. Den Traum von der Profikarriere verfolgte er nach Abschluss seines Bachelorstudiums von Charlotte aus. „Was die Qualität der Plätze und die Höhe der Preisgelder auf den unteren Touren angeht, lag das für mich nah, aber als Deutscher in den USA Sponsoren zu finden, war für mich schlicht unmöglich“, bedauert er noch immer. Für Wiedergrün ging es von Beginn an ans Ersparte. 10.000 Dollar seien schnell weg, wenn schon die Startgebühr mancher Turniere 2000 Dollar und mehr betrage. „Ich hatte von Anfang an großen Druck“, sagt er. Dennoch habe er den Lifestyle als Tourspieler sehr genossen, das Reisen, den Wettbewerb, die Plätze.
Traum geplatzt, aber erleichtert
Zwar konnte Stefan Wiedergrün bei seinen mehr als 50 Profistarts in den USA dreimal auf einer Minitour gewinnen – und damit Einzelpreisgelder von bis zu 12.000 Dollar. Auch auf der zweitklassigen Web.com Tour (inzwischen Korn Ferry Tour) durfte Wiedergrün einige Mal starten. Bevor es sportlich für den Durchbruch reichte, fehlte ihm letztlich aber das nötige Geld. Ohne 60.000 bis 80.000 Euro jährliches Kapital sei es kaum möglich, sich auf der Tour zu etablieren, betont der Frankfurter Golfer. Mit der Rückkehr nach Deutschland 2013 und später wieder ins Amateurlager sei einerseits ein Traum geplatzt, andererseits sei es für ihn auch erleichternd gewesen. „Je älter ich werde, desto mehr denke ich, dass ich es auf der Tour doch hätte schaffen können“, sagt Wiedergrün. Seine Erfolgsserie als Amateur trägt dabei sicher eine Mitschuld.